Köhne – Besser – Borges. Die Kalkbrenner von Ahlem
Kalk wurde schon in der Antike abgebaut und verarbeitet, entweder als Kalksteinblöcke oder durch „Kalkbrennen“.
Geologisch sind Kalksteinformationen aus dem Erdmittelalter, insbesondere dem Trias und dem Jura: gesteinhaltige, relativ flache Wasser werden in einem heißen Wüstenklima verdunstet, es bilden sich Sandsteine, Schiefertone und eben Kalksteine als fossilienreiche Sedimentsteine.
Beim Erhitzen auf ca. 1200 °C entweicht aus dem Kalkstein (Calciumcarbonat CaCO³) Kohlstoffdioxid (CO²), es entsteht Calciumoxid (CaO), ein weißlicher, poröser Stoff = „gebrannter Kalk“.
Gibt man zu gebrannten Kalk portionsweise Wasser (H²O), so erhält man bei viel Hitze „gelöschten Kalk“ = Calciumhydroxid Ca(OH)².
Gibt man Wasser im Überschuss und die dreifache Menge Sand dazu, so erhält man Kalkbrei, der als Mörtel geeignet ist.
Der Kalkbrei reagiert beim „Abbinden“ mit dem Kohlstoffdioxid der Luft und es bildet sich wieder harter Kalk mit einer anderen kristallinen Struktur, also chemisch Ca(OH)² + CO² wird zu CaCO³ + H²O.
In neuerer Zeit wurde der Kalk in sog. Schachtöfen gebrannt, meistens kegel- oder zylinderförmig, mehrere Meter hoch. Auf den Ofen wurde ein Kamin aufgesetzt, der die Abgase ableitete. Durch eine Öffnung am oberen Ende des Ofens wurde das Rohmehl und das Brennmaterial (oftmals Steinkohle aus dem Deister) schichtweise eingefüllt und unten angezündet. Sobald die erste Schicht Brennmaterial verbrannt war, konnte man deren Reste mit der fertigen Sintermasse aus dem Ofen abziehen. Die nachrutschenden Schichten wurden von oben immer wieder nachgefüllt. So entstand ein ununterbrochener Brand. Die von unten einströmende kalte Luft sorgte unterhalb der Brennzone für das Abkühlen des Kalkmaterials.
Der weiterentwickelte Ringofen hatte einen kreisrunden oder ovalen Grundriss mit mehreren, radial gerichteten Kammern. Im Gegensatz zum normalen Schachtofen wanderte hier nicht das Brennmaterial durch die Brennzone, sondern die Brennzone ging langsam in einem Kreis durch den ganzen Ofen herum. Dies ermöglichte einen kontinuierlichen Brennprozess: während in einer Kammer Kalk gebrannt wurde, konnte die Kammer davor, mit Karton abgetrennt mit neuem Rohmaterial gefüllt und die die andere dahinter entleert werden. Der Ringofen erreichte so die 20-fache Tagesleistung eines herkömmlichen Schachtofens.
Beim mechanisierten Schachtofen ging es darum, Beschickung und Entleerung des Ofens insbesondere zur Reduzierung der Personalkosten zu rationalisieren. Eine weit verbreitete Methode war dafür der Drehrostofen,
Der Drehrohrofen besaß keinen senkrechten, sondern einen mit etwa drei Grad zur Horizontalen geneigten zylindrischen Brennraum. Dies erleichterte die Entnahme des gebrannten Materials.
Im Ahlemer Kalkbruch an der Nordseite des Mönckebergs beginnt die Kalkbrennerei etwa um 1850 im Zuge der regionalen Industrialisierung durch die Firma Gebr. Köhne, Baumaterialhandel in Hannover.
Der Abbau der Kalksteine erfolgt, meist nach Sprengung, mit Hacke und Schaufel. Er beginnt an der Wunstorfer Landstraße. Man baut auf dem Gelände einen Einkammerofen, aber auch Pulverschuppen, Stallungen für Arbeitspferde, eine Arbeiterschutzhütte.
Die Geschäfte gehen gut. Bereits 1874 wird ein neuer Kalksteinofen mit Schornstein, Stall, Waschküche errichtet. Der Lärm und die Sprengungen nehmen ein Ausmaß an, dass sie 1870 der Verlegung der neuen Ahlemer Schule auf das Grundstück Wunstorfer Landstraße/Ecke Mönckebergallee (damals Holzweg) entgegenstehen. Der Unterricht muss in ein ehemaliges Leibzuchtshaus in der heutigen Tiefelstraße verlegt werden.
Gebr. Köhne errichten 1899 einen ersten Ringofen. Das Unternehmen firmiert jetzt als „Kalkbrennerei, Kalk- und Kalkzementwerke“, Inhaber ist der Schwiegersohn Karl Besser. Der Standort ist in Höhe des heutigen Sonnenplatzes. Der Bau erfolgt zwar mit Genehmigung der Landgemeinde Ahlem. Der Gemeindevorstand verlangt allerdings in seiner Sitzung am 24.06.1899, die Höhe des geplanten Schornsteines zu verringern.
In der Folgezeit erwirbt Karl Besser katastermäßig mehrere Grundstücke, die dann die Kalkbrennerei bzw. den späteren Park ausmachen. Die Fläche reicht insbesondere im Norden um 1,3 ha über das Gebiet des heutigen Parks hinaus (Bereich Lohkamp, Lohgrund, Letterweg).
Als Karl Besser stirbt, verkauft seine Witwe Anna Besser das Gelände 1920 an den Kaufmann Heinrich Borges (1862 -1957) gebürtig aus Landringhausen. Der verpachtet den Kalkbruch an die Firma Mast & Grahlmann, die 1925 ein neues Kalkwerk errichten will. Unter dem 22.09.1925 genehmigt der Landkreis Linden einen Kalkringofen mit einem Schornstein von 40 m Höhe.
Heinrich Borges kümmert sich persönlich um die Weiterentwicklung seines Pächters. So kauft er für das Ahlemer Kalkwerk am 20.08.1925 bei der Firma DIEMA in Diepholz eine Schmalspurlokomotive mit Benzolmotor, schon am 02.05.1927 eine weitere mit 10 PS.
Und die Planungen gehen weiter: es gibt Erweiterungspläne. Ein Sachverständiger erstattet unter dem 05.04.1929 ein Gutachten über einen neuen Schachtofen weiter westlich mit einem Schornstein mit nur noch 22 m, nur etwa 13 m Höhe über dem Geländeniveau. Dieser Ofen soll jetzt mit Koks befeuert werden, um die Bildung von Schwefelsäure in den Rauchgasen auszuschließen.
Doch dazu kommt es nicht mehr. Die „Weltwirtschaftskrise“ verursachte ab 1929 einen solch starken Rückgang der Bauwirtschaft, dass von Januar 1930 bis November 1931 der Kalkabsatz in Deutschland um 37% zurückgeht. Ende 1931 liegt die Zahl der beschäftigten Kalkarbeiter bei 30% des Stands von 1913. „Eine Katastrophe“ sagt der Verband der Fabrikarbeiter Deutschlands, Sitz Hannover.
1932 wird am Mönckeberg die Kalkproduktion eingestellt. Borges bietet der Gemeinde Ahlem das Gelände des Kalkbruchs zum Kauf an. Diese lehnt das Angebot über 35.000 RM und 15.000 RM Belastung am 21.05.1932 ab. Die Fläche liegt nun brach: ca. 80 Jahre Kalkbrennen sind zu Ende. Heinrich Borges übereignet seine Grundstücke am 12.03.1936 an seinen Sohn Walter Borges (1911 – 1983), der sie am 07.03.1941 weiterverkauft. Dessen Erbin Silvia B. lebt heute übrigens Branchen fremd im Rheinland.
Doch damit beginnt eine andere Geschichte: von Zwangsarbeit, Obstanbau, Saftherstellung, öffentlicher Park.
Siegfried Frohner
27.01.2021
Es gehört zu den Aufgaben des Historikers wie des Heimatkundlers, in alten Dokumenten zu recherchieren. Freilich entdeckt man dabei immer wieder, dass mündlich überlieferte Geschichten nicht so ganz richtig oder zumindest nicht vollständig weitergegeben worden sind. Die Verlässlichkeit von „oral history“ ist begrenzt.
Der Erwerb des Kalkbruchs
So ist jüngst der notarielle Kaufvertrag aufgefunden worden, mit dem der Kaufmann Willy Spahn aus der Knochenhauerstraße 44 in Hannover, ausgewiesen durch einen Führerschein der Kreisdirektion Wolfenbüttel vom 28.11.1921 den wesentlichen Teil des Geländes des heutigen Willy-Spahn-Parks erworben hat. Neu ist das Datum: der Vertrag datiert vom 07.03.1941. Damit haben sich entgegen den bisherigen Angaben der Landeshauptstadt in ihrer Parkbroschüre die Indizien eindeutig bestätigt, die bereits bislang auf den Grundstückserwerb 1941 hinwiesen (siehe „Ahlemer Geschichten“, 2015, Seiten 84 f.). Und er erwarb mit 2 weiteren Verträgen vom 30.05.1941 weitere kleine Parzellen hinzu, sodass ihm dann insgesamt eine Fläche von 5,32 ha gehörte.
Diese Größenangabe wird nun diejenigen stutzig machen, die in vielen Quellen lesen können, der Park habe eine Größe von knapp 4 ha. Er umfasst nämlich nicht den gesamten Bereich der früher betriebenen Obstplantage. So sind bereits zwischen 1961 und 1975 mehrere Grundstücke im Bereich des Lohkamps für Siedlungs-und Postzwecke veräußert worden, die wichtiger Bestandteil der Obstplantage gewesen sind. Ein alliiertes Luftbild vom 25.04.1945 zeigt deutlich, dass ca. 35 – 40 % der von Obstbäumen bestandenen Fläche heute nicht zum Park gehört, abgesehen davon, dass Ende der 90-er Jahre nochmals 3 weitere Teilflächen ebenfalls einer anderen Nutzung zugeführt worden sind.
Verkäufer der Hauptfläche des Parks war seinerzeit der Fuhrunternehmer Walter Borges (1911 – 1983) aus Hannover-Linden, Sohn des Kaufmanns Heinrich Borges (1862 – 1937) aus Landringhausen, der 1920 „das ausgebeutete Ahlemer Kalkwerk“ von der Witwe Besser gekauft und am 12.03.1936 seinem Sohn übereignet hatte. Heinrich Borges war es auch, der 1925 den heute unter Denkmalschutz stehenden Kalkringofen veranlasste und noch 1929 einen neuen Kalkschachtofen plante, zu dessen Bau es dann nicht mehr kam.
Der Einsatz von Zwangsarbeitern
Ausweislich des Kaufvertrages von 1941 beabsichtigte Willy Spahn von Anfang an die „Einrichtung einer Obstplantage“. Um Kalkbrennen ging es ja längst nicht mehr, obwohl sich noch Schienen, Loren, Werkzeuge etc. auf dem Gelände befanden.
Spahn beschrieb die Situation später in einem Schreiben an die Bezirksregierung Hannover vom 02.04.1980: „Tiefe Gräben und Löcher durchzogen das Werksgelände. Reste von ehemaligen Brennöfen und Schuppen … türmten sich in meterhohen Abraumhalden. Den ganzen 2. Weltkrieg über haben 8 Gefangene und mehrere Rentner mit Kipploren auf Gleisen daran gearbeitet, diese Abraumhalden bis auf die gewachsene Bodenfläche abzutragen. Nach dem 2. Weltkrieg habe ich dann unter der Aufsicht eines Gärtnermeisters hier eine Obstplantage anlegen lassen …“ Damit haben wir so ganz nebenbei das Eingeständnis von Zwangsarbeit, für die es schon bislang recht eindeutige Hinweise gegeben hat (siehe „Ahlemer Geschichten“, 2015, Seiten 85 und 156). Insbesondere sowjetische Kriegsgefangene sind im Weltkrieg, ausgerichtet an der Rassenhierarchie der NS-Ideologie, nicht entsprechend bestehender völkerrechtlicher Verpflichtungen behandelt worden. Kriegsgefangene, die zur Arbeit eingesetzt wurden, verrichteten daher im völkerrechtlichen Sinne Zwangsarbeit. Von ca. 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen starben in deutscher Gefangenschaft ca. 3,3 Millionen.
Willy Spahn ließ übrigens auf dem angeblichen Trümmerfeld bereits im April 1942 ein Wochenendhaus errichten – obwohl in dem Kalkbruch grundbuchlich Wohnen nicht gestattet war – und meldete sich dann im Juli 1943 von Braunschweig, Lange Dammstraße 22 in Ahlem mit der Adresse Wunstorferlandstraße 73 an (und im Mai 1945 nach Hannover wieder ab).
Der Erhalt des Brennofens
Die späteren testamentarischen Verfügungen und insbesondere auch der Vertrag mit der Landeshauptstadt zur Errichtung einer unselbständigen Stiftung spiegeln den nachdrücklichen Wunsch der Eheleute Emilie und Willy Spahn wieder, „in Hannover-Ahlem für die Öffentlichkeit einen „Willy-Spahn-Park“ einzurichten“. Dazu gehörte für sie hauptsächlich der „Ausbau der Wege zu einem öffentlichen Park“. Keine Rolle spielte für das Ehepaar offenbar der Erhalt des Kalkbrennofens. Im Gegenteil: bei der Testamentsvollstreckung findet sich noch unter dem 11.03.2005 die Bemerkung: „Ich war mit Herrn Spahn einig, dass sämtliche Bauten auch der Brennofen entfernt werden sollten. Der gesamte Bauschutt sollte in ein vorhandenes Loch im Westen des Parks verschwinden und mit Mutterboden zugedeckt werden. … Herr Spahn bezeichnete den Brennofen als alte Bruchbude, die verschwinden müsste.“ Und weiter bereits am 21.11.1997: „Die hochtrabenden Pläne für den Erhalt, Umbau oder Sanierung des Brennofens … müssen wir auf das schärfste verurteilen, weil diese Maßnahmen nicht dem Willen des Stifters entsprechen.“
Heute
können wir froh sein, dass dieser Stifterwille im Stiftungsvertrag keinen rechtlich bindenden Niederschlag gefunden hatte und es dann noch gelungen ist, den Kalkbrennofen als wichtiges Industriedenkmal unserer Region zu erhalten. Gerade dieses von Heinrich Borges veranlasste industrielle Kleinod macht den besonderen Reiz des Willy-Spahn-Parks, wie wir ihn schätzen, aus.
Siegfried Frohner
11.06.2019